Caroline Herschel
Caroline
Lucretia Herschel war die erste Frau, die in der Astronomie volle
Anerkennung fand. Sie wuchs als einziges Mädchen von fünf überlebenden
Kindern des Militärmusikers Isaak Herschel und seiner Frau Anna Ilse
Herschel in Hannover auf.
Der Vater war bestrebt, seinen Kindern eine musikalische Grundausbildung zu
geben. Aber im Hause Herschel wurde nicht nur viel musiziert, sondern auch
philosophiert und Astronomie betrieben.
Caroline in ihren Erinnerungen: "Mein Vater war ein großer Bewunderer der
Astronomie und besaß einige Kenntnisse in der Wissenschaft. Ich erinnere
mich, daß er mich in einer kalten Nacht auf die Straße führte, um mich mit
einigen unserer schönsten Sternbilder bekannt zu machen, nachdem wir vorher
einen Kometen, der eben sichtbar war, beobachtet hatten."
Einige Stunden täglich besuchte sie zusammen mit ihren Brüdern die
Garnisonsschule, so daß sie das Lesen und Schreiben erlernen konnte – damals
für ein Mädchen aus dem Bürgertum keine Selbstverständlichkeit.
Viele Stunden des Tages verbrachte sie jedoch gegen ihren Willen mit
Stricken, Sticken und allerlei Haushaltstätigkeiten. Die Mutter meinte, daß
sie ein "roher Klotz sein und bleiben sollte, allerdings aber ein
nützlicher".
Der Gedanke, daß sie – nach dem Willen ihrer Mutter – zur Weißnäherin
ausgebildet werden sollte und ihr eine Zukunft als bloße Haushaltskraft
bevorstände, war ihr unerträglich. Sie wollte ein Leben führen, das auch
geistige Anforderungen an sie stellte. Daher hielt sie sich an den Wunsch
des Vaters, der für sie, wie für ihre vier Brüder, eine musikalischen
Ausbildung, in ihrem Fall zur Konzertsängerin, vorsah.
22jährig folgte sie ihrem zwölf Jahre älteren Bruder Friedrich Wilhelm
Herschel, der als Organist und Konzertleiter im vornehmen Bath tätig war,
nach England. Er brauchte sie als Haushälterin, wollte ihr aber auch
Gelegenheit geben, der häuslichen Enge zu entfliehen, sich musikalisch
weiterzubilden und als Solistin in seinen Konzerten mitzuwirken. Schon bald
stieg sie zur ersten Sängerin auf, übernahm Leitungsfunktionen im Chor und
bekam Angebote, auch in anderen Städten aufzutreten. Dies lehnte sie
allerdings ab, da sie nur unter der Leitung ihres geliebten und verehrten
Bruders auftreten wollte. Sicherlich hätte sie musikalisch eine große
Karriere vor sich gehabt, wenn sie nicht der Passion ihres Bruders für die
Astronomie gefolgt wäre. Zweifellos eine ungewöhnliche Familie, diese
Herschels aus Hannover, in denen große Begabungen, ja Doppelbegabungen
(Musik und Astronomie) anscheinend die Regel waren: Bruder Alexander,
ebenfalls Musiker, wirkte auch als Astronom in Wilhelms Familienbetrieb zur
Erforschung des Himmels.
Caroline widmete sich nun neben der Haushaltsführung und ihren Auftritten
als Sängerin auch noch der Astronomie; zum Beispiel half sie Wilhelm beim
Anfertigen von Spiegelfernrohren. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die
Spiegel zu polieren und zu schleifen – eine Arbeit, bei der es auf absolute
Genauigkeit ankommt. Neben den praktischen Tätigkeiten befaßte sie sich aber
auch mit astronomischer Theorie. Sie erlernte die Algebra, Formeln für
Berechnungen und Reduktionen als Grundlage für das Beobachten und
Durchmustern des Himmels.
Der große Einschnitt für Caroline Herschel kam 1781, im Entdeckungsjahr des
Planeten Uranus, den ihr Bruder eher zufällig bei einer
Himmelsdurchmusterung fand. Diese Entdeckung führte dazu, daß er über die
Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Neben zahlreichen Ehrungen bekam er eine
Stelle als Königlicher Hofastronom in Windsor angeboten, die er dankbar
annahm. Nun konnte er sich ganz seiner wahren Leidenschaft widmen.
Für Caroline hingegen bedeutete die Entdeckung des Uranus eine erneute Wende
in ihrem Leben. Sie stand vor der Wahl, als Sängerin in Bath ihre
erfolgreiche Karriere fortzusetzen oder aber ihrem Bruder als
wissenschaftliche Assistentin zu "dienen". Sie entschied sich für letzteres
und bekam vom Hof eine Anstellung als Gehilfin ihres Bruders mit einem
Gehalt von 50 Pfund im Jahr – das erste Gehalt, das je eine Frau für
wissenschaftliche Tätigkeit bezog. Nun begann Caroline mit der eigenen
Erforschung des Sternenhimmels, und zwar widmete sie sich der Kometensuche.
In den Jahren von 1786 bis 1797 entdeckte sie acht solcher Schweifsterne.
Nächtelang blieb sie mit ihrem Bruder auf Beobachtungsposten, notierte die
Sternpositionen, die er ihr vom anderen Ende des von ihnen selbst gebauten
riesigen Fernrohrs zurief, wertete die nächtlichen Aufzeichnungen aus und
rechnete sie nach, schrieb Abhandlungen für die Philosophical Transactions,
entdeckte vierzehn Nebel, berechnete Hunderte von ihnen und begann einen
Katalog für Sternhaufen und Nebelflecke anzufertigen. Des weiteren verfaßte
sie einen Ergänzungskatalog zu Flamsteeds Atlas, der 561 Sterne umfaßte,
sowie ein Gesamtregister dazu.
Für diese Arbeit wurde ihr allerhöchste Anerkennung u.a. von Gauß und Encke
gezollt. Trotzdem blieb sie die (übermäßig?) bescheidene Frau, die sie immer
gewesen war. Ihre Biographin Renate Feyl bemerkt dazu: "Bis an das Ende
ihres Lebens versucht sie jeglichen Hinweis auf eine eigene Leistung
lediglich als das Verdienst ihres berühmten Bruders herauszustellen. … Sie
wagt zu wissen, will aber dieses Wagnis nicht öffentlich eingestehen.
Fortgesetzt betont sie, wie nichtsnutzig, wie unfähig, wie untauglich sie
sei. Dies ist ihre lebenslängliche Demutsgeste und Entschuldigung dafür, daß
sie sich erkühnt, leise, aber nachhaltig gegen die Gewalt von Gewohnheiten
anzugehen und sich auf ihre Weise zu nehmen, was einem menschlichen Wesen
zusteht: das Recht auf Erkenntnis."
1822 – nach vielen Jahren unermüdlicher Arbeit - folgte ein weiterer
Einbruch in ihrem Leben: ihr geliebter Bruder starb. Nun hielt sie nichts
mehr in England. Wenige Wochen nach seinem Tod zog Caroline Herschel wieder
in ihre Heimatstadt Hannover, die sie fast fünfzig Jahre zuvor als junge
Frau verlassen hatte. Die bedeutendsten Gelehrten suchten sie in ihrem
einfachen Haus in der Marktstraße auf, um sie ihrer Gunst und Wertschätzung
zu versichern. Selbst zum Königlichen Hof hatte sie Kontakt. Zahlreiche
Auszeichnungen wurden ihr verliehen – 1828 u.a. die goldene Medaille der
Royal Astronomical Society, zu deren Ehrenmitglied sie 1835 ernannt wurde.
Sie war die erste Frau, der Anerkennungen dieser Art zuteil wurden. Anlaß
dazu war ihr sogenannter Zonenkatalog, den sie zum Andenken an ihren Bruder
erstellt hatte. Er enthielt die reduzierten Beobachtungen sämtlicher von
Wilhelm Herschel entdeckten Nebel und Sternhaufen – eigentlich eine schier
unschaffbare Aufgabe! 1838 ernannte die Königliche Irische Akademie der
Wissenschaften in Dublin die 88jährige Caroline Herschel zu ihrem Mitglied.
1846 erhielt sie im Alter von 96 Jahren im Auftrag des Königs von Preußen
die goldene Medaille der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Noch an ihrem 97. Geburtstag empfing sie den Besuch des Kronprinzenpaares,
unterhielt sich einige Stunden lebhaft mit ihnen und sang ihnen abschließend
ein Lied vor, das ihr Bruder siebzig Jahre zuvor komponiert hatte. Keiner
der von ihr entdeckten Kometen wurde nach ihr benannt, aber ein Mondkrater:
Caroline Herschel.
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