Wostok Missionen
Wostok
(Восток; russisch für Osten) ist der Name der ersten bemannten sowjetischen
Raumkapseln.
Wostok ist ein einsitziges Weltraumfahrzeug. Von 1961 bis 1963 startete die
UdSSR insgesamt sechs Kapseln dieses Namens. An Bord von Wostok 1 gelangte
am 12. April 1961 mit Juri Gagarin der erste Mensch in eine Erdumlaufbahn.
Mit Wostok 6 flog am 16. Juni 1963 Walentina Tereschkowa als erste Frau in
den Weltraum.
Die Wostok-Raumkapseln flogen auf einer relativ niedrigen Umlaufbahn. Sowohl
die maximale Missionsdauer als auch die Steuermöglichkeiten des Piloten
waren sehr begrenzt. Die Wostok-Kapseln wurden in der Folgezeit als Basis
für verschiedene militärische und zivile unbemannte Satelliten der
Kosmos-Serie verwendet. Für die bemannten Programme wurden sie durch die
Woschod-Raumkapsel abgelöst.
Das sowjetische Wostok-Programm, welches später als direkte Antwort auf das
NASA-Programm Man in Space Soonest gewertet wurde, trieb den Wettlauf im All
zu Beginn der 1960er Jahre auf einen vorläufigen Höhepunkt. Mit der
Entwicklung einer einfachen Raumkapsel auf Basis vorhandener unbemannter
militärischer Konzepte, gelang es, mehrere Monate vor den USA einen Mensch
ins All zu bringen.
Das Wostok-Raumschiff bestand aus zwei wesentlichen
Elementen: der kugelförmigen Kapsel (Durchmesser: 2,3 m, Volumen: 1,6 m³,
Masse: 2,46 t für den jeweiligen Raumfahrer inklusive der benötigten
Steuerkontrollen sowie einem angrenzenden doppelkegligen Geräteteil
(Durchmesser: 2,43 m, Länge: 2,25 m, Masse: 2,27 t), welcher im wesentlichen
das Bremstriebwerk samt Treibstoffen beinhaltete.
Auf die Erde zurückgeführt werden konnte nur die runde Kapsel, welche zu
diesem Zwecke mit einer bis zu 18 cm dicken Asbestschicht als Schutzschild
umgeben war. Der Gesamtkomplex hatte eine Masse von 4,73 t, im Verbund mit
Block-E sogar 6,17 t. Wostok war 4,41 m lang, beziehungsweise mit Block-E
7,35 m.
In der Kapselwand existierten drei mit 1,2 m Durchmesser recht große Luken,
durch die der Kosmonaut einstieg, der Fallschirm herausgeschossen
beziehungsweise Gerätschaften installiert wurden. Drei kleinere Luken mit
einem Durchmesser von jeweils 25 cm dienten der Erdbeobachtung und als
Navigationshilfe beziehungsweise als optisches Visier ("Wsor") und ließen
sich während des Wiedereintritts durch kleine Jalousien verschließen. Die
technische und wissenschaftliche Ausrüstung der Kapsel mit einer Masse von
knapp 800 kg bestand hauptsächlich aus Telemetrie- und
Kommunikationssystemen, aber auch Landesensoren und dem Landefallschirm. Der
Kosmonaut war auf einem Schleudersitz befestigt, welcher vor der Landung
herauskatapultiert wurde. Grund für diese Prozedur ist der Umstand, dass man
mit der kugelförmigen Kapsel nur ballistische Landungen durchführen konnte,
was für den Raumfahrer Belastungen bis 10 g bedeuteten und es außerdem
erschwerte, die Kapsel vor dem Aufschlag genügend abzubremsen. Somit hielt
man die Sicherheit des Kosmonauten für vorrangig und ließ ihn separat an
einem Fallschirm landen.
Der Schleudersitz diente im Falle einer Havarie der Trägerrakete auf der
Abschussrampe oder in den ersten Flugsekunden ebenfalls als
Sicherheitssystem, welches den Kosmonauten aus dem direkten Gefahrenbereich
hätte retten können. In der Kapsel herrschte irdische Normalathmosphäre. Von
dem ursprünglichen Plan, wie die Amerikaner reinen Sauerstoff zu verwenden,
sah man aufgrund der damit verbundenen Gefahren ab.
Der Geräteteil blieb während des Fluges durch vier Gummibänder mit der
Kapsel verbunden, welche nach Brennschluss des Triebwerks beziehungsweise
unmittelbar vor dem Wiedereintritt abgesprengt wurden. Als Triebwerk fand
das Issajews TDU-1 auf Basis von Salpetersäure und einem Amintreibstoff mit
einem 45 Sekunden langen Schub von 15,83 kN Verwendung. Das Manövrieren im
Raum wurde von mit 2 x 16 Stickstoffdüsen verbundenen Infrarotsensoren
gesichert. Zur Versorgung des Raumschiffs sowie aller Systeme inkl. Kapsel
wurden außen 14 Druckgasbehälter mit Sauerstoff, Stickstoff und reiner Luft
angebracht. Als primäre (und einzige) Energiequelle dienten chemische
Batterien mit einer Betriebsdauer von 10 Tagen.
Zu Beginn der sowjetischen Raumfahrt lagen die Wurzeln jedes Programms
natürlich im militärisch-industriellen Komplex. Dies wussten auch die
Konstrukteure, allen voran Sergej Koroljow, die mit zivilen Projekten
keinerlei Chance auf eine Finanzierung oder nennenswerte staatliche
Unterstützung gehabt hätten. Die Rüstungsindustrie spielte generell für
lange Zeit eine entscheidende Rolle bei der Präsenz der UdSSR im Weltall.
Das OKB-1, also Koroljows Konstruktionsbüro, erhielt 1956 den Auftrag einen
Foto-Aufklärungssatelliten unter der Bezeichnung Zenit zu entwickeln. Zenit
sollte mangels leistungsstarker Übertragungstechnik die geschossenen Bilder
in einer kleinen Kapsel zur Erde zurückführen, um sie erst dort zu
entwickeln und auszuwerten. Mit diesem Programm war bereits vor dem Start
von Sputnik die Instrumentalisierung der Raumfahrt als direkte (Spionage)
aber auch als indirekte (Propaganda) Waffe des Kalten Krieges beschlossene
Sache.
Dieser Umstand bewog den damaligen Parteichef Chruschtschow, dem gesamten
Raumfahrtprogramm höchste Priorität einzuräumen, dieses militärisch und
technisch nutzbar zu machen und unter allen Umständen schnellstmögliche
Erfolge vorzeigen zu können. Damit rückte auch die lang vorher erwogene
Möglichkeit, einen Menschen ins All zu schicken, in den Mittelpunkt aller
Planungen. Koroljow erhielt schließlich im Sommer 1956 den offiziellen
Auftrag zur Entwicklung eines bemannten Raumschiffes unter der Bezeichnung
Wostok und begann dann Anfang 1958 an intensiveren Planungen. Etwa zur
gleichen Zeit verkündeten die US-Amerikaner stolz, dass man es schaffen
werde, als erste Nation binnen weniger Monate einen Menschen ins All und
wohlbehalten zurückzuführen.
Der Weg zu diesem Ziel war für die Sowjets weit weniger steinig als für die
Amerikaner. Letztere hatten bereits im Voraus massive Rückschläge in ihrem
unbemannten Programm hinnehmen müssen und verfügten über keine ausreichend
leistungsfähige Rakete, die eine vergleichsweise schwere bemannte Kapsel ins
All hätte befördern können. Anders die Sowjets: ihnen stand die universelle
und sehr leistungsfähige Interkontinentalrakete R-7 (Semjorka), deren
Konstruktion in wesentlichen Bereichen auf der deutsche A-4 (auch bekannt
als V-2) beruht, welche man nach Kriegsende in die Sowjetunion brachte und
dort weiterentwickelte. Letztlich konnte Koroljow für das bemannte
Raumschiff auch einfach auf die projektierte Zenit-Kapsel zurückgreifen. In
deren Kapsel ließ sich mit einem Durchmesser von 2,3 m mühelos ein Kosmonaut
samt Lebenserhaltungssystem unterbringen. Zu Beginn des Wostok-Programms war
das Missionsszenario mehr als unklar.
So erwog man anfangs, ähnlich wie es die Amerikaner dann auch
verwirklichten, eine ballistischen Flug mit Hilfe einer Höhenrakete
durchzuführen und somit die Erde nicht zu umkreisen. Einer der energischsten
Gegner dieses Plans war Koroljow selbst, der zwar um die relative technische
Leichtigkeit eines solchen Unterfangens wusste, aber auch erkannte, dass
dies kein wirklicher Raumflug war. Die Amerikaner ließen sich nur durch die
Formel schneller - höher - weiter (zumindest in den Augen der
Öffentlichkeit) schlagen, und da war eine Erdumkreisung, also ein orbitaler
Flug, um Dimensionen besser geeignet als ein kleiner ballistischer Hopser.
Parallel zu jenen Planungen wurde die Oberstufe Block-E für die bereits
angesprochene R-7-Rakete konzipiert. Bereits 1957 qualifizierte sich die R-7
durch den erfolgreichen Sputnikstart für ihren Einsatz in der Raumfahrt.
Durch die erhöhte Nutzlast war allerdings eine modifizierte Oberstufe nötig,
welche die mehrere Tonnen schwere Wostok-Kapsel auf eine ausreichend hohe
Bahn bringen konnte. Koroljow dachte bei dem Block-E noch weiter: so ließen
sich mit dieser Oberstufe in Kombination mit der nun dreistufigen R-7,
welche in abgewandelter Form noch heute das Rückgrat der russischen
Raumfahrt bildet, alle Arten schwerer Erdsatelliten, aber auch Mond- und
Planetensonden ins All bringen.
Dennoch konnte man die Zeit nicht aus den Augen verlieren. Mit Abschluss der
Vorarbeiten im April 1958 wurde klar, dass man sich viel Zeit und Energie
sparen könnte, indem man auf ein ausgefeiltes Landesystem verzichtet und
stattdessen den Kosmonauten nach dem Wiedereintritt in einer bestimmten Höhe
aus der Kapsel hinauskatapultiert und unabhängig von der eigentlichen Kapsel
landen lässt. Im gleichen Zug mit Abschluss der Planungsphase wurde eiligst
eine Kommission für bemannte Weltraumflüge unter Vorsitz von Konstantin
Rudnew, seines Zeichens bereits Vorsitzender des Komitees für
Verteidigungstechnologie (GKOT), gebildet, um die Anstrengungen des
Wostok-Programms besser zu koordinieren und zu zentralisieren. Zu Rudnews
Stellvertreter wurde Sergej Koroljow selbst berufen.
Der Rat der Chefkonstrukteure der UdSSR fasste im November 1958 den
Beschluss, einen bemannten Raumflug intensiv vorzubereiten und diesem als
ziviles Projekt allerhöchste Priorität selbst vor vergleichbaren
militärischen Plänen einzuräumen. Auch wurde hier der Beschluss gefasst, die
Mission auf alle Fälle auf einen orbitalen Flug hinauslaufen zu lassen.
Bereit Anfang 1959 konnte man mit dem Bau der Wostok-Kapsel beginnen und war
damit im Vergleich zu den Amerikanern erneut im zeitlichen und
organisatorischen Vorteil. Ungünstig auf die Qualität des gesamten Projekts
wirkte sich der Brauch aus, Konstruktion und Bau gleichzeitig ablaufen zu
lassen. Damit wurde es kaum möglich, die Kapsel auf der Erde zu erproben und
man nahm auch weitere Risiken in Kauf, um das Wettrennen ins All für sich zu
entscheiden. Jedenfalls konnte man im Herbst selbigen Jahres im Werk
Kuibyschew (heute Samara) ein erstes elektrisches Analog, also eine
komplette Kapsel ohne Hitzeschild, fertig stellen.
Mit diesem Schritt wurde die maßgebliche technische Ausgestaltung des
Programms abgeschlossen, und die Oberstufe machte die R-7 zu einer der
erfolgreichsten, sichersten und zuverlässigsten Trägerraketen der Welt und
einem langlebigen Arbeitspferd der sowjetischen Raumfahrt.
Etwa parallel mit der Fertigstellung des elektrischen Analogs begann man
eine intensivere Testphase, die mit Abwurftests mit der Wostok-Kapsel
begann. Im Gegensatz zu den USA konnte man viele wertvolle Monate Zeit
sparen, da man aufgrund der Kugelgestalt nicht erst, wie bei den
Mercury-Kapseln der NASA mit ihrer Kegelform der Fall, das Flugverhalten der
Kapsel untersuchen musste. Ebenfalls wurde eine Reihe von Katapulttests
durchgeführt, um die Landesequenz, neben dem Start der riskanteste Teil der
gesamten Mission, zu simulieren. Im Januar 1960 führte man mehrere
Testabschüsse von Wostok-Raketen von Baikonur in Richtung Kamtschatka durch,
wobei mit der Kapsel der ballistische Wiedereintritt, das Hitzeschild und
der Landevorgang unter realistischen Bedingungen erprobt wurden. Leider
existieren keine genauen Aufzeichnungen über den Verlauf und die Anzahl
solcher Flüge in jenen Wochen.
Die Feuertaufe bestand das Wostok-Raumschiff am 15. Mai 1960, als man eine
vereinfachte unbemannte Kapsel (Wostok 1P, prostjeschij: deutsch einfach)
unter der Bezeichnung Korabl 1 (Raumschiff 1, im Westen irreführend auch als
Sputnik 4 bezeichnet) in eine annähernd kreisförmige Erdumlaufbahn brachte.
Im Gegensatz zur späteren Variante, glich Korabl 1 eher dem Zenit-Satelliten
und besaß zwei Solarpaneele, dafür aber keinerlei Lebenserhaltungs- oder
Landesysteme. Zur Unzufriedenheit aller Beteiligten gab es enorme Probleme
mit der Sprechfunkverbindung, die man probeweise zum Raumschiff und von dort
zurück zum Boden sendete. Am 19. Mai kam es zum Test des Bremstriebwerks TDU,
womit man einen wesentlichen und sehr riskanten Teil der Mission
nachstellte. Durch einen Fehler in einem Infrarotsensor orientierte sich
Korabl 1 allerdings falsch, und das Triebwerk leitete nicht den Abstieg ein,
sondern brachte das Raumschiff auf eine noch höhere Umlaufbahn. Später
verglühten Kapsel und Geräteteil wie geplant in der Atmosphäre.
Einen derben Rückschlag erhielt das Programm am 28. Juli des gleichen
Jahres, als eine vollständig ausgerüstete und mit der später eingesetzten
Version annähernd identische Kapsel (Bezeichnung Wostok 1, 1KA) mit den
beiden Hunden Bars und Lisitschka an Bord etwa 19 Sekunden nach dem Start
explodierte und nahe dem Startplatz aufschlug.
Der Fehlstart wurde selbstverständlich nicht bekannt gegeben, stattdessen
wiederholte man den Start bereits am 19. August die Mission, woraufhin die
Kapsel mit der Bezeichnung Korabl 2 (Sputnik 5) mit den beiden Hunden Belka
und Strelka sowie zwei Ratten und vierzig Mäuse an Bord die vorgesehene
Erdumlaufbahn erreichte. Bereits am 20. August, nach rund 10 Erdorbits,
landete die Kapsel sicher nahe der Ortschaft Orsk. Die an Bord befindlichen
Tiere wurden wie geplant aus der Kapsel katapultiert und dabei einer
Beschleunigung von bis zu 10 g ausgesetzt, überlebten aber die Strapazen und
bewiesen die Einsatzfähigkeit des Verbundes R-7/Block E/Wostok. Unterdessen
beobachteten auch die Amerikaner die Vortastversuche der Sowjets mit
Besorgnis, schließlich ließen Ergebnisse ihres Mercury-Systems weiterhin auf
sich warten.
Im August 1960 wurden weitere Details zu den folgenden, unbemannten
Missionen klar. Es wurden verschiedene Designveränderungen, Vereinfachungen
und Masseeinsparungen, aber auch Einzelheiten zum Rettungssystem und zum
Raumanzug SK-1 besprochen und beschlossen. Am 19. September unterbreiteten
dann verschiedene Persönlichkeiten, unter ihnen Koroljow, Chef der
Raketentruppen Mitrofan Nedelin (Chef der strategischen Raketentruppen), der
stellvertretende Ministerpräsident Ustinow sowie der Vizepräsident der AdW
der UdSSR Mstislaw Keldysch, dem ZK der KPdSU die Empfehlung, den Termin für
den ersten bemannten Raumflug in den Dezember zu verlegen. Die Zustimmung
von ZK und Ministerrat kam am 11. Oktober und machte den Weg für den
Raumflug frei.
Doch damit war es nicht geschehen. Einzelne Systeme, darunter der
lebenswichtige Schleudersitz, erwiesen sich als nicht funktionsfähig,
beziehungsweise wiesen Fehlfunktionen, welche bei einem Test des
Schleudersitzes sogar das Leben eines Probanden forderte. Damit wurde
ungewiss, ob sich der Termin im Dezember halten lassen würde.
Den Ausschlag für die Streichung des Fluges im Dezember gab letztendlich die
personelle Lücke, welche eine Explosion der neu konstruierten
Interkontinentalrakete R-16 aus dem OKB Jangel am 24. Oktober auf einem
Startpodest des Kosmodroms Baikonur hinterließ. Mehr als 200 führende
Raumfahrtspezialisten kamen bei dem Inferno ums Leben, unter ihnen der Chef
der Raketentruppen, Marschall Nedelin, gleichzeitig einer der maßgeblichen
Förderer des Raumfahrtprogramms.
Man entschied sich aus Sicherheitsgründen für zwei weitere unbemannte Flüge
im Dezember. Den Auftakt bildete am 1. Dezember Korabl 1, welche unter
anderem die beiden Hunde Ptscholka und Muschka befördern sollte. Doch das
TDU-1-Triebwerk arbeitete erneut nicht fehlerfrei und leitete eine zu flache
Abstiegsbahn ein. Die Kapsel landete nach 17 Erdorbits und wurde nicht
gefunden. Als Landeort wird der Pazifik angenommen. Bei einem bemannten
Raumflug wäre die Kapsel zwar auch ohne Triebwerk durch die elliptische Bahn
nach einigen Tagen auf natürlichem Wege wieder in die Erdatmosphäre
eingetreten, doch wäre der Landeort unkontrollierbar gewesen. So war man zum
Beispiel nicht auf eine Landung im Ozean vorbereitet, zumal eine Landung im
nicht-kommunistischen Ausland eine propagandistische Katastrophe bedeutet
hätte. Dementsprechend musste das Triebwerk TDU-1 gründlich überarbeitet
werden und der Termin rutschte weiter ins Jahr 1961.
Doch auch Korabl 4 stand unter keinem glücklichen Stern. Beim Start am 22.
Dezember brannte einer der Außenbooster der Wostok-Trägerrakete zu kurz. Mit
diesem Schubverlust hätte man keinen planmäßigen Orbit erreichen können,
woraufhin man den Flug abbrach, die Kapsel von der Rakete absprengen und in
Ostsibirien landen ließ. Die beiden an Bord befindlichen Hunde Domka und
Krasonka überlebten zwar diese Notlandung samt hartem Aufprall, allerdings
starben sie in ihrer Kapsel, da die Bergung ganze zwei Tage in Anspruch
nahm.
Auch dieser Vorfall gab zu denken, die erste bemannte Raumfahrt musste unter
allen Umständen erfolgreich verlaufen. Der Tod eines Raumfahrers würde dem
gesamten sowjetischen Programm unweigerlich den Todesstoß versetzen. Um die
Gefahren zu minimieren, modifizierte man die Kapsel unter der Bezeichnung
3KA erneut. So hat man zum Beispiel die Stärke des aus Asbest bestehenden
Hitzeschildes von 3 auf 13 cm erhöht. Ebenfalls erging der Beschluss, dass
der erste Raumflug die Erde nur einmal (etwa 90 Minuten) und nicht wie
geplant 17 mal (was einem eintägigen Flug entspräche) umrunden sollte.
Unterdessen kündeten die Amerikaner ihren ersten suborbitalen Flug für den
28. April 1961 an. Die Parteiführung drängte nun, den Flug unter allen
Umständen vor diesem Termin durchzuführen.
Um einige abschließende Tests durchzuführen, fertigte man so genannte Space
Dummies, also menschengroße und -schwere Puppen, welche dem Wostok-System
das Space Proof-Siegel verleihen sollten. So lief dann bei dem
anderthalbstündigen Flug von Korabl 4 am 9. März 1961 alles wie geplant und
sowohl der an Bord befindliche Hund Tschernuschka, aber auch der Dummie
waren nach der Landung wohlauf. Bei dem Start von Korabl 5 am 25. März waren
in Baikonur sogar die sechs Kandidaten anwesend. Auch dieser Flug mit dem
Hund Swjosdotschka und dem Dummie "Iwan Iwanoski Nr. 2" an Bord und die
Landung, 80 km von Ishewsk entfernt, verlief planmäßig.
Mit diesem abschließenden Tests gaben die Konstrukteure ihr Go und schon der
nächste Flug würde Anfang April bemannt durchgeführt werden können.
Der menschliche Faktor für einen Raumflug wurde von Koroljow zu keinem
Zeitpunkt unterschätzt, und so begann man Anfang 1959 mit der akribischen
Suche nach geeigneten Kandidaten und mit einer strengen Auswahlprozedur. Für
die zukünftigen Lieferanten von Kosmonauten qualifizierten sich automatisch
mehrere Extremberufe, wie beispielsweise Leistungssportler, U-Boot-Fahrer,
Bergsteiger usw. Koroljow bevorzugte für den Job als Raumfahrer allerdings
eher Jagdflieger. Für eine Rekrutierung gab es einen ganzen
Kriterienkatalog, der folgende Parameter vorsah: maximal 36 Jahre alt 1,70
bis 1,75 Meter groß und 70 bis 72 kg schwer.
Unterstützt wurde die Auswahl durch die Abteilung für Weltraummedizin,
welche vom Chef der sowjetischen Luftstreitkräfte, Konstantin Wershinin, ein
großer Befürworter und Unterstützer der Raumfahrt, unter Leitung von Prof.
Wladimir Jasdowski eingerichtet wurde. Mehr als 3000 Piloten wurden von der
"Kommission für das Thema Nr. 6", die Tarnbezeichnungen waren aufgrund der
strikten Geheimhaltung des gesamten Weltraumprogramms nötig, überprüft und
bis auf 400 Mann aus der Liste gestrichen. Den Ausschlag für die
Rekrutierung gab ein kritischer Blick in die Akten der Piloten. So musste
man ein "reines" Verhältnis zur Partei haben sowie eine "saubere" Biographie
vorweisen können. Nur Leute mit einwandfreier Vergangenheit würden sich
letztendlich so für Propagandazwecke nutzen lassen, wie man es sich
seinerzeit vorstellte.
Die 400 Auserwählten wurden in Gruppen zu je 20 Mann aufgeteilt und im
Herbst 1959 in Moskau eingehender untersucht. Die meisten von ihnen
disqualifizierten sich durch Mangel an Ausdauer, sodass schließlich nur noch
30 Anwärter übrig blieben, deren Zahl im Januar 1960 nochmals auf 20
verringert wurde und schließlich als erste Kosmonautengruppe vorgestellt
wurde. Bis zu jenem Zeitpunkt war allen Rekrutierten der eigentliche Zweck
ihrer Auswahl verschwiegen worden, da man keinerlei Risiko eingehen wollte
und man durch das Bekanntwerden der Bemühungen um baldmöglichste Erfolge die
nationale Sicherheit und das internationale Prestige bedroht sah.
Die 20 Kandidaten begannen am 14. März 1960 eine Art Grundtraining auf dem
Moskauer Zentralflughafen "M.W. Frunse". Der Unterrichtsplan bestand aus
einem theoretischen, also hauptsächlich Lektionen in Physik,
Himmelsmechanik, Raketentechnik und Biologie, speziell Medizin. Die
Ausbildung wurde geleitet von Raumfahrttheoretikern, Raketenwissenschaftlern
und Konstrukteuren vom OKB-1. Kurioserweise befanden sich unter den
Ausbildern auch einige, welche später selbst in All flogen: so
beispielsweise Makarow, Jelissejew und Feoktistow. Die praktische Ausbildung
bestand aus Fallschirmspringen, Flügen mit der MiG-15 UTI (mit der 1968
Gagarin tödlich verunglückte), Parabelflügen mit einer TU-104, aber auch aus
nervenzehrenden Aufenthalten in isolierten Barokammern.
Die Raumfahrer wurden auf Schritt und Tritt verfolgt und jeder Mangel wurde
von den Ausbildern protokolliert, die psychische und physische Verfassung
während des Trainings genau verfolgt. Die Ausbildung selbst entspricht nicht
mehr den heutigen Methoden, da man damals mangels Wissen über die Einflüsse
der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus die Trainingseinheiten
nicht "weltraumgerecht" gestalten konnte.
Da eine Ausweitung des gesamten bemannten Weltraumprogramms abzusehen war,
veranlasste man auf Beschluss des ZK der KPdSU am 11. Januar 1960 die
Gründung eines zentralen Kosmonauten-Ausbildungszentrums. Bereits im Sommer
dieses Jahres war die grundlegende Infrastruktur 40 Kilometer nordöstliche
geschaffen worden und man konnte das Training dort, weit besser vor den
Augen der Öffentlichkeit verborgen, aufnehmen. Das ZPK ("Zentr Podgotowki
Kosmonawtow"), heute wohl eher als "Sternenstädtchen" bekannt, war von nun
an das Zentrum der Bemühungen um einen bemannten Raumflug und die
Trainingseinheiten wurden intensiviert, um den Kreis der möglichen
Kosmonauten in spé weiter einzugrenzen. Der erste Chef des ZPK wurde Oberst
Jewgeni Karpow, die Kosmonautenausbildung leitete fortan Nikolai Kamanin,
aufgrund seiner Verdienste als Pilot zu jener Zeit bereits Held der
Sowjetunion.
Alle Arbeiten liefen planmäßig, die Ausbildung schritt voran und das
Fluggerät war bereits fertig, sodass man bereits im Dezember 1960 das
Zeitalter der Präsenz des Menschen im Weltall einläuten wollte. Am 31. Mai
wurden sechs der 20 Kandidaten ausgewählt, am Wostok-Programm teilzunehmen.
Dabei handelte es sich um Gagarin, Titow, Nikolajew, Popowitsch, Kartaschow
und Warlamow. Die restlichen 14 Rekruten schieden zwar damit nicht aus dem
Trainingsprogramm aus, wurden allerdings nicht speziell im Wostok-Simulator
ausgebildet, was ab Juli geschah. Am 18. Juni wurden die Anwärter ins
Herstellerwerk Kuibyschew gebracht, wo sie zum ersten Mal das
Wostok-Raumschiff in voller Pracht sahen und von niemand Geringerem als
Sergei Koroljow gezeigt bekamen.
Obwohl bis dahin alles planmäßig verlief, traten zu jenem Zeitpunkt mehrere
unvorhersehbare Ereignisse ein, welche die Kosmonautengruppe beschnitten,
veränderten und somit die gesamte Planung durcheinander brachten. Zunächst
disqualifizierte sich Anatoli Kartaschow und wurde, nachdem nach einem
Zentrifugentest am 16. Juli ein Gefäßriss der Wirbelsäule festgestellt
wurde, durch den Kampfpiloten Neljubow ersetzt und erst einmal
zurückgestellt. Gänzlich aus dem Raumfahrtprogramm entfernt wurde er erst am
7. April 1962, nachdem er sich für Überbelastungen als untauglich erwies.
Am 24. Juli 1960 verletzte sich Walentin Warlamov bei einem Badeausflug
infolge eines Kopfsprungs an der Halswirbelsäule und wurde durch Waleri
Bykowski ersetzt. Warlamow war fortan Ausbilder des ZPK im Fach
Astronavigation.
Ein schwerer und auch äußerst tragischer, tödlich endender Unfall trug sich
am 23. März 1961, also nur kurze Zeit vor dem Start von Gagarin, in einer
Isolationskammer des ZPK zu. Kandidat Bondarenko warf einen für medizinische
Untersuchungen im Rahmen eines 10-tägigen Aufenthaltes in der Isokammer mit
Alkohol getränkten Wattebausch auf eine elektrische Heizplatte, welche sich
sofort entzündete und aufgrund der reinen Sauerstoffatmosphäre in der
hermetisch abgeriegelten Kammer sofort alles in Brand steckte. Bondarenko
versuchte zunächst selbst vergeblich das Feuer zu löschen, bevor er Alarm
schlug. Als der Druckausgleich mit der Kammer hergestellt werden konnte, war
Bondarenko zwar am Leben, erlitt aber derart starke Verbrennungen, dass er
acht Stunden später verstarb.
Der Vorfall wurde wegen des befürchteten "schädlichen" Abfärbens auf das bis
dahin geltende Image von den erfolgreichen sowjetischen Errungenschaften in
der Raumfahrt bis 1986 totgeschwiegen. Bereits wenige Jahre Später ereignete
mit Apollo 1 eine ähnliche Katastrophe, welche ebenfalls auf die Verwendung
von reinem Sauerstoff unter Niedrigdruck als Atmosphäre und dem Mangel einer
schnell öffnenden Luke zurückzuführen ist.
Obwohl diese, speziell aber letzterer Zwischenfall den Initiatoren des
sowjetischen Raumfahrtprogramms zu Denken gab, sah man kein Grund, dieses zu
stoppen oder zu überdenken. Symbolisch bekamen die sechs Anwärter nach ihren
Prüfungen am 17. und 18. Januar den Titel "(Flieger-) Kosmonaut" verliehen,
durften sich aber öffentlich nicht so nennen, da man auch die Mitglieder der
Kosmonautengruppe zur Verschwiegenheit nach außen verpflichtete.
Letztendlich galt es, unter den sechs Verbliebenen, denjenigen
herauszusuchen, der einerseits die besten Testresultate an den Tag legte,
andererseits aber auch mit Charme und Charakter für die
Propagandamaschinerie verwertbar war.
General Kamanin gab Juri Gagarin bereits Ende März zu verstehen, dass er
sich Hoffnung machen dürfe, als erster ins All zu fliegen. Gagarin zeichnete
sich in allen Disziplinen dadurch aus, immer zur Leistungsspitze zu gehören
und keine Gebiete zu haben, auf denen er schwächelt. Gleichzeitig besaß er
zwar einen starken, aber keinesfalls einen arroganten Charakter, wie es
beispielsweise bei Grigori Neljubow, dem zweiten Ersatzmann von Wostok 1,
der Fall war. Dieser konnte es mental kaum verkraften, nicht der Erste
gewesen zu sein und bekam auf Anordnung Kamanins keine weitere
Flugnominierung. Ein nächtlicher Alkoholexzess am 4. Mai 1962 führte
schließlich zu seiner Entlassung aus dem Kosmonautenkorps, einer
Strafversetzung in den Fernen Osten und zu seinem Selbstmord am 18. Februar
1966, als er sich an der Bahnstation Ippalitowka in Sibirien von einem Zug
erfassen ließ und sofort starb. Auch sein Name wurde aus den Annalen der
sowjetischen Raumfahrt entfernt, sein Schicksal blieb lange Zeit unbekannt.
Im Rahmen des Wostok-Programms wurden 6 Missionen durchgeführt.
Wostok 1:
12. April 1961, Juri Gagarin
Start um 7.07 Uhr MEZ, einmalige Erdumkreisung. Rückkehr nach 108-minütigem
Flug (= 41.000 km Flugstrecke). Landung nahe Smelowka, 26 km südwestlich von
Engels.
Wostok 2:
6. August 1961, German Titow
Durchführung von 17 Erdumkreisungen (= 1d 1h 17min; 703.000 km). Erstmals
Filmaufnahmen und Experimente unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit.
Titow litt an akuter Weltraumkrankheit, klagte über Übelkeit und
Orientierungslosigkeit. Zeitweise Ausfall der bordeigenen
Temperaturregulierung, Sinken der Bordtemperatur auf 6°C. Erfolgreiche
Landung im Gebiet Krasnij Kut bei Saratow.
Wostok 3:
11. August 1962, Andrijan Grigorjewitsch Nikolajew
Ernsthafte Probleme beim Start, da sich ein Kabelmast nicht wie geplant von
der Rakete löste, sondern erst wenige Sekunden vor dem Start zur Seite
schwenkte. 24 Stunden später startete Wostok 4. Landung nach 3d 22h 22min
nahe Karakalinsk in Kasachstan.
Wostok 4:
12. August 1962, Pawel Popowitsch
Start nur einen Tag nach Wostok 3. Durchführung des ersten Gruppenfluges der
Geschichte. Näherung bis auf 6,5 km, was direkten Funkkontakt ermöglichte.
Erprobung wichtiger Rendezvous-Technik für spätere Mondmissionen. Nikolajew
und Popowitsch schwebten erstmals frei in ihren Kabinen, keiner von beiden
erlitt wie Titow die damals vollkommen unerforschte Weltraumkrankheit.
Landung nur 7 Minuten nach Wostok 3 nahe Atas, südlich von Karaganda.
Wostok 5:
14. Juni 1963, Waleri Bykowski
Ursprünglich war ein Dreierflug mit Wladimir Komarow, Bykowski und einem
weiblichen Raumfahrer geplant, was allerdings am 1. April wieder verworfen
wurde. Wostok 5 war gleichzeitig eine Vorbereitung auf kommende
Mondmissionen und sollte acht Tage dauern. Durch gefährliche Sonnenaktivität
wurde der Start vom 12. Juni an mehrmals verschoben. Doch auch am 14. Juni
fiel während des Countdowns überraschend ein Steuerkreisel aus und eine
Schnur verhedderte sich unter Bykowskis Sitzschale. Beide Probleme wurden
entgegen den Vorschriften und auf Bykowskis ausdrücklichen Wunsch bei
laufendem Countdown behoben. Das erreichte Perigäum war letztendlich zu
niedrig, um tatsächlich acht Tage im Orbit zu verweilen. Die Landung
erfolgte am 19. Juni.
Wostok 6:
16. Juni 1963, Walentina Tereschkowa
Zwei Tage nach Bykowski brach die 26-jährige Textilarbeiterin Walentina
Tereschkowa ins All auf. Während des Fluges wurde der Gruppenflug von Wostok
3 und 4 weitestgehend wiederholt, die beiden Raumschiffe näherten sich auf
bis 5 km. Die offizielle Version, dass Tereschkowa die Schwerelosigkeit
erstaunlich gut vertrug, ist aufgrund widersprüchlicher Berichte
anzuzweifeln. Tereschkowa landete 2,5 Stunden vor ihrem Kollegen Bykowski.
Offensichtlich plante Koroljow ursprünglich noch
mindestens einen weiteren Wostok-Flug für 1964. Gleichzeitig war aber allen
Beteiligten klar, dass man mit den technischen Möglichkeiten und damit auch
der propagandistischen Verwertbarkeit an die Grenzen des möglichen gestoßen
war. Das geplante Nachfolgeraumschiff Sojus ließ weiter auf sich warten, so
dass man verschiedene Ersatz-Missionen mit abgewandelten Wostok-Raumschiffen
Wostok Tsch plante.
Dadurch hätte man nicht nur wichtige Erfahrungen im Bereich der
Kopplungstechnik gewonnen, sondern hätte gleichzeitig die erste bemannte
Raumstation mit einer Massen von 15 bis 25 Tonnen aufgebaut. Denkbar wäre
auch eine direkte Weiterentwicklung zu einem Mondraumschiff gewesen. Wostok
Tsch stieß leider auf wenig Gegenliebe, sodass sämtliche dahingehende
Studien und Entwürfe zwar Einzug in unbemannte Programme (Zenit) fanden,
aber nie umgesetzt wurden, da die letztendliche Verwirklichung zu viel Zeit
und Geld in Anspruch genommen hätte.
Schließlich kündigten die Amerikaner 1964 den Flug ihrer Gemini-Raumschiffe
an und Koroljow konterte mit einer schlichten Modifikation des
Wostok-Systems, indem er den Schleudersitz zu Gunsten von bis zu drei
Sitzschalen entfernte. Das so modifizierte Raumschiff wurde auf den Namen
Woschod getauft, um dem Westen vorzugaukeln, man hätte ein völlig neues,
revolutionäres System entwickelt. Damit endete die glorreiche Wostok-Ära.
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